Unsere Tradition

Wie in Marburg vielfältig praktiziert, so auch auf dem Gebiet des Radfahrens, ging die Initiative zur Ausübung dieses Sportes von Angehörigen der Philipps-Universität aus. Oskar Wattenberg, cand. med, aus Bremen sowie die cand. chem. Schock, Gerland und der Schotte Mac Gregor gründeten am 18.05.1885 den ersten Marburger Radsportverein, den
„Marburger Radfahrer Club 1885“
Cyclist’s Touring Clubs,
Von den Marburger akademischen Gründungsmitgliedern und bereits ab 1886 hinzugestoßenen bürgerlichen Mitgliedern schreibt die Chronik, dass sie zumeist Fabrikate englischer Produktion verwendeten. Von dem 1. Vorsitzenden Wattenberg weiß sie zu berichten, er habe mit seinem Hochrade die Brockenspitze im Harz „erfahren“. Als erste bürgerliche Mitglieder des MRCs waren der Bankier Zeiße, der Pianofortefabrikant Carl Müller, Universitäts-Mechanikus Fritz Engel, Kaufmann Carl Dörlam, Fabrikant Jakob Holzhauer, ein Agent ilhelm Barndt aus Schlesien und in der Folge weitere Marburger und Auswärtige hinzugekommen.
Interessant war auch die Zusammenstellung der Räder, so fuhren die Studenten Hochräder, Herr Müller ein Känguruh und Herr Zeiße ein Dreirad, dessen riesig hohen Ruder überall Aufsehen hervorriefen. In den Anfangsjahren des Bestehens wurden in erster Linie Sport- und Wanderfahrten durchgeführt. Anlässlich einer Herrenfestlichkeit im Café Quentin (Steinweg) in 1889 wurde ein Kunstreigen gezeigt, der mit viel Beifall aufgenommen wurde. Durch den Erfolg beflügelt trat der MRC im gleichen Jahr mit 20 Mitgliedern dem Deutschen Radfahrer-Bund bei, eine nationale Dachorganisation, die bereits 1884 gegründet worden war (Vorgänger des heutigen Bund Deutscher Radfahrer). In den Nordbezirk des Gaues 9 aufgenommen, entwickelte sich in den folgenden Jahren eine rege Vereinstätigkeit. Ein Hauptanliegen der damaligen Zeit war, Gleichgesinnte anderorts in Vereinen zusammenzufassen. So vermeldet die Chronik, dass durch die Initiative des Marburger Radfahrer Clubs an folgenden Orten Radfahrvereine ins Leben gerufen wurden: Butzbach, Wetzlar, Biedenkopf, Laasphe und Alsfeld, der Gauvorstand soll damit äußerst zufrieden gewesen sein.
1891 wurde das erste Straßenrennen in Marburg durch den MRC ausgerichtet, außer der Mitteilung, dar hierbei erstmals ein Frankfurter Fahrer auf Pneumatiks (Luftreifen) gestartet sei, fiel der Sieg trotzdem dem auf Vollgummireifen fahrenden Clubmitglied F. Seybold zu, über den Streckenverlauf und die Zuschauerresonanz ist leider nichts ausgesagt. Und doch muss dieses Rennen bei einigen Herren einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Spontan schlossen sie sich zum
Marburger Radfahrer Verein 1891
Für den Marburger Radfahrer Club folgten nun Jahre mit regem sportlichen und gesellschaftlichen Verkehr mit Nachbarvereinen im Gau 9. Die sportlichen Aktivitäten führte die Mitglieder zu umfangreichen Wanderfahrten in den Taunus, Westerwald, die Eifel, den Hunsrück, an den Rhein, in das Moseltal, den Odenwald und Schwarzwald. Die größten Wanderfahrten wurden durch Österreich, Italien und die Schweiz geführt – die Chronik vermeldet Tage und Wochen unvergesslichen Genusses für alle Teilnehmer.
Nachdem im Jahre 1892 der
Radtouristen-Club Wanderlust Marburg

Der Erste Weltkrieg ließ dann den Verein ruhen. Erst im Sommer 1921 rief man ihn wieder zu Aktivitäten, nachdem sich das Nachkriegsleben wenigstens einigermaßen wieder normalisiert hatte und die Freude am Sport wuchs, 32 Mitglieder zählte damals der MRC 1885.
Der in 1891 gegründete Marburger Radfahrer Verein wuchs nach anfänglichen Schwierigkeiten nach der Jahrhundertwende beständig. Trotz der „Konkurrenz am Platze“ und der Stagnation beim MRC, sind in beiden Vereinschroniken keine Rivalitäten verzeichnet. Das gesellschaftliche Nebeneinander schloss ein sportliches Miteinander nie aus. So nahmen bei allen sportlichen Veranstaltungen des einen Vereines Mitglieder des anderen teil und pflegten somit Gemeinsamkeiten.
Die zwanziger und dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts mit ihren wirtschaftlichen Problemen gingen an beiden Vereinen, dem MRC und MRV nicht spurlos vorbei. Große sportliche Erfolge blieben aus, wenngleich in beiden Vereinen ein großartiger Zusammenhalt bestand.
Um gemeinsam Erfolgen zuzustreben, beschlossen beide Vereinsvorstände im Jahre 1935 ihre Saalsporttätigkeiten zusammenzulegen, am 21.06. 1938 erfolgte dann der Zusammenschluss der Vereine, nach beiderseitigem Mitgliederbeschluss. Der
Radsportverein 1885/91 Marburg e.V.
Allerdings machte dann der in 1939 beginnende 2. Weltkrieg der Aufbauarbeit ein Ende. Vorher wurden jedoch noch die vereinseigenen Sportgeräte, Kunst- und Radballmaschinen vor dem Zugriff des Staates, bzw. der Reichssportkammer in Sicherheit gebracht.
Diese gutverwahrten Saalfahrmaschinen bildeten dann auch den Grundstock für einen neuen Anfang im Jahre 1947. Die Übungstätigkeiten im Kunstfahren und Radball wurden wieder in der von der Stadt Marburg zur Verfügung gestellten Turnhalle der Nordschule aufgenommen. In dieser Zeit des Wiederaufbaues unseres Landes ist die Leistung der wenigen zu würdigen, die dem Krieg entronnen, dem Verein neues Leben verliehen. Heinrich Wick II und Fritz Bertram sind hier für die Vereinsleitung zu nennen, während Hans Mühlich als Kunstfahrwart, Hans Bender als Radballfachwart und Wilhelm Döringer als Kunstfahrtrainer herausragen. Letzterer war es dann auch, der für erste Sporterfolge des RSV 1885/91 Marburg sorgte, Oskar Döringer und Hannelore Nau errangen mehrfach Hessenmeistertitel im Einerkunstfahren, belegten vordere Plätze bei den Deutschen Meisterschaften und erfuhren im Zweierkunstfahren in der Klasse der männlichen Jugend (!) ebenfalls Meistertitel in Hessen. Hannelore Nau hat dann im Jahre 1954 den Titel einer Deutschen Meisterin erringen können, allerdings war sie damals, mit ihren Eltern nach Fulda verzogen, nicht mehr Mitglied unseres Vereins.
In diese Zeit nach dem Kriege fielen auch noch andere erwähnenswerte Aktivitäten. Das Rennen „Rund um das Staatsarchiv“, nach Sechstageart als Mannschaftsrennen ausgetragen, sorgte für zusätzliche Attraktionen im Radsport in Marburg. Eine Hessische Bergmeisterschaft der Radrennfahrer, vom Wilhelmsplatz zum inneren Schloßhof führend, und als Einzelzeitfahren abgewickelt, beendete wohl die Sportära des RSV 1885/91 Marburg. Inzwischen hatte sich auch ein spezieller Rennsportverein, der RC Endspurt 1950 Marburg entwickelt, dessen anfängliche Erfolge schon bald nachließen, 1965 endet dann auch seine sportliche Tätigkeit.
Im hundersten Jahr seines Bestehens konnte der Radsportverein 1885/91 Marburg e.V. geordnete Verhältnisse, einen treuen Mitgliederbestand und eine rege Sporttätigkeit aufweisen. Die aktiven Mitglieder, wenn auch nicht gerade Spitzensportler und Spitzenleistungen, zeigten ein gutes Kunstradniveau und auch die Radballer gaben zu Hoffnungen Anlass. Zwei Übungsleiterinnen in Zusammenarbeit mit Einzeltrainerinnen vermittelten dem jungen Nachwuchs die nötigen Fertigkeiten zur Beherrschung des Kunstrades. So wurden jährlich Kreismeisterschaften mit den anderen Radsportvereinen im Landkreis Marburg-Biedenkopf ausgetragen, Bezirksmeisterschaften beschickt und die jeweiligen Besten nach ihrer Qualifizierung zu Hessenmeisterwettbewerben gesandt. Pokal-, Nachwuchs- und Vergleichswettbewerbe im Kunstfahren und Radball rundeten die jährliche saalsportliche Vereinstätigkeit ab. Aber auch auf dem „Trimm Dich“ Sektor war der RSV 1885/91 Marburg tätig. Seit den 1970er führte er das schon zur Tradition gewordene Marburger Volksradfahren durch, welches auf jährlich wechselnden Routen in Zusammenarbeit mit dem städtischen Sportamt das Marburger Sportprogramm für „Jedermann“ bereicherte. Vereinsinterne „Velo-Sonntage“ in Form von Wanderfahrten führten die Mitglieder und andere Radfahrbegeisterte immer wieder hinaus ins Marburger Land, um als Freizeitsportler Sonntag vormittags zwischen 30 und 40 km zurückzulegen.
Eine große Stütze des Vereins.
Im Zuge dessen entwickelte sich daraus die mittlerweile landesweit bekannte Radtourenveranstaltung „Schimmelreitertour“, die zu einer Marburger Institution wurde. Jährlich wird die Schimmelreitertour im Mai ausgetragen. Hunderte Radler aus nah und fern trafen und treffen sich zur Schimmelreitertour, um in Gruppen oder Einzeln Strecken zwischen 40km und 160km durch das Marburger Umland zu bewältigen.
Neben dieser Breitensportvariante wurde in den achtziger und neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts der Rennsport im RSV 1885/91 Marburg neubelebt. Bis heute konnten die Radsportler in zahlreichen Disziplinen des Rennsports Titel erringen. Der Rennsport ist heute eine große Stütze des Vereins. Ebenso erfolgreich entwickelte sich die Sparte BMX, die noch immer im Verein angeboten wird, mittlerweile jedoch nur noch von wenigen Mitgliedern ausgeübt wird. Hingegen der Saalradsport führt ein Schattendasein im Verein und wartet noch immer auf seine Wiederbelebung.
Der Verein zeigt heute stabile Mitgliederzahlen, solide Finanzen und ist somit gut für die Zukunft aufgestellt. Wie jeder Verein lebt jedoch auch der RSV 1885/91 Marburg e.V. von der Initiative seiner Mitglieder. Dabei ist der Verein auch ein Abbild der Gesellschaft und muss damit leben, dass die Initiativkraft seiner Mitglieder steigerungsfähig ist.