Unsere Tradition
RSV Marburg 1885/91 e. V.
Zufall oder nicht: Zur Gründung des Marburger Radsportvereins, dem „Marburger
Radsport Club“ (MRC) am 18.05.1885 gehörte ausgerechnet der englische Student
namens Mac Gregor. Eine weitere initiative zur Vereinsgründung ging von
Angehörigen der Philippsuniversität aus, dem Medizinstudenten Oskar Wattenberg
aus Bremen und dem Chemiestudenten Gerland Schock. Vielleicht war es doch kein
Zufall, dass ein englischer Student an der Gründungsidee des Vereins beteiligt war,
denn in der erwähnten Zeitepoche kam das Radfahren in England in Mode. Es gab
dort sogenannte Laufräder in verschiedenen Varianten und spezielle
„Fahrmaschinen“. Auch wurden in England in der Folge dieser Entwicklung Clubs
gegründet, wie etwa der „Cyclist´s Touring Club“ (1878), dessen Reichweite auch
Gebiete in Deutschland umfasste. Wie selbstverständlich wurden dann auch in
Deutschland englische Fahrradmodelle präsentiert und von vielen Fans der
aufkommenden Mode gefahren.
Noch ungeübt im Umgang mit dem neuen Fortbewegungsmittel suchte man nach
praktischen Formen der Nutzung auf der Straße und in großen Hallen. Von Oskar
Wattenberg, dem 1. Vorsitzenden und Gründungsmitglied des MRC wird berichtet,
dass er mit einem Hochrad die Spitze des Brocken im Harz erreichte. Über das
Vereinsleben in dieser Zeit ist überliefert, dass überwiegend Sport- und
Wanderfahrten durchgeführt wurden. Anlässlich einer „Herrenfestlichkeit“ beim Café
Quentin am Steinweg wurde 1889 ein Kunstfahrereignis gezeigt, das mit viel Beifall
aufgenommen worden sein soll. In Folge dieser Bewegung suchte man nicht nur
nach verschiedenen Formen des Radfahrens, sondern auch nach der örtlichen
Organisation von Gleichgesinnten und übergeordneten hessischen Verbandsformen.
Bedingt durch zahlreiche Vereinsaktivitäten trat der MRC 1884 dem Deutschen
Radfahrer Bund (dem heutigen Bund Deutscher Radfahrer) bei. Die damalige
Euphorie für das Radfahren führte zur Gründung weiterer Radfahrvereine wie etwa in
Butzbach, Wetzlar, Biedenkopf, Laasphe und Alsfeld. Diese Vereine schlossen sich
einem übergeordneten hessischen Verband an.
1891 wurde dann durch den MRC das erste Straßenrennen in Marburg ausgerichtet.
Hier fuhr erstmals ein Frankfurter Fahrer auf Luftreifen (Pneumatiks). Trotzdem
gewann F. Seybold vom MRC das Rennen mit Vollgummireifen auf seinem Rad.
Zahlreiche Marburger müssen von diesem Rennen so begeistert gewesen sein, dass
sie einen weiteren Verein 1891 in Marburg gründeten, den „Marburger Radfahrer
Verein 1891“.
Beide Vereine entwickelten nebeneinander zahlreiche sportliche Aktivitäten. Sie
unternahmen vor allem Wanderfahrten in den Taunus und Westerwald, auch an den
Rhein, ins Moseltal oder in den Odenwald und Schwarzwald. Die größten,
mehrtägigen Wanderfahrten wurden nach Österreich, in die Schweiz und nach Italien
unternommen. Andererseits wird berichtet, dass in der Folgezeit die sportlichen
Erfolge nachließen. Die erste Euphorie war verflogen. Gründe dafür wurden nicht
genannt. Allerdings hielten die beiden Vereine den Kontakt zu den
Dachorganisationen und besuchten deren zahlreiche Verbandstagungen in
Deutschland. Sportlich und organisatorisch kehrte der Alltag ein.
Während des ersten Weltkrieges ruhten die sportlichen Aktivitäten der Vereine, die im Sommer 1921
wieder aufgenommen wurden.
In den zwanziger und dreißiger Jahren hatte beide Vereine mit wirtschaftlichen
Problemen zu kämpfen und hielten sich mit Mühe über Wasser. Es wird allerdings
berichtet, dass in den Vereinschroniken keine Rivalitäten zwischen den beiden
Vereinen verzeichnet sind, trotz der „Konkurrenz am Platz“. Man nahm gegenseitig
an den Vereinsveranstaltungen des anderen Vereins teil und pflegte somit
Gemeinsamkeiten. In der Folge legten 1935 beide Vorstände ihre
Saalsportaktivitäten zusammen. Am 21.06.1938 erfolgte dann der organisatorische
Zusammenschluss beider Vereine zu dem „Radsportverein 1885/91 Marburg e.V.“
Während des 2. Weltkrieges ruhten zwangsläufig die sportlichen Aktivitäten, die 1947
wieder aufgenommen wurden. Die während des Krieges in Sicherheit gebrachten
Sportgeräte und Radballmaschinen bildeten jetzt den Grundstock im
wiederaufzubauenden Kunstradfahren und Radball. Die Stadt Marburg hatte dafür
die Turnhalle der Nordschule zur Verfügung gestellt. In dieser Zeit des
Wiederaufbaus werden Heinrich Wick II und Fritz Bertram für eine verdienstvolle
Vereinsleitung genannt. Im sportlichen Bereich Hans Mühlich als Kunstfahrwart,
Hans Bender als Radballfachwart und Wilhelm Döringer als Kunstfahrtrainer. Mit dem
letzteren als Trainer werden sportliche Erfolge des RSV 1885/91 von Oskar Döringer
und Hannelore Nau mit Hessenmeister im Einer-Kunstradfahren vermeldet. In diese
Zeit fielen auch andere spektakuläre Aktivitäten wie das Rennen „Rund um das
Staatsarchiv“ nach Sechstageart als Mannschaftsrennen oder eine Hessische
Bergfahrt vom Wilhelmsplatz zum inneren Schlosshof in Marburg. In den 1970er
Jahren führte das Volksradfahren zu einem neuen Aufschwung im Vereinsleben.
Zusammen mit dem Marburger Sportamt wurde das Sportprogramm für „Jedermann“
angeboten. Mehrfach wurden Schüler- und Jugendmannschaften des Vereins
Hessenmeister im Vierer- und Sechserkunstradfahren. Aktive nahmen auch an
Deutschen Meisterschaften teil.
Diese Aktivitäten des RSV wurden nicht durch die Gründung anderer Marburger
Radsportvereine in den 50er und 60er Jahre beeinträchtigt, da diese sich schon bald
wieder auflösten.
1985 konnte der RSV sein hundertjährigen Bestehen unter seinem damaligen
Vorsitzenden Karlheinz Merle feiern. Dabei konnte man auf geordnete Verhältnisse,
einen treuen Mitgliederbestand und auf eine rege Spottätigkeit verweisen. Jährlich
wurde seither an Kreismeisterschaften teilgenommen, die mit anderen
Radsportvereinen ausgetragen wurden. Auch an Bezirks- und
Hessenmeisterschaften mit unterschiedlichen Disziplinen nahm man mit mehreren
Aktiven teil. Vereinsinterne „Velo-Sonntage“ führten Radfahrbegeisterte auf Strecken
von 40km ins Marburger Land. Inzwischen hatte sich die Marburger
„Schimmelreitertour“ herausgebildet, die zu einer Marburger Institution wurde. Man
traf sich in Gruppen, um Strecken zwischen 40km und 160km im Marburger Umland
zu bewältigen.
Neben diesen Breitensportvarianten wurde in den 90er Jahren der Rennsport im
Verein neu belebt, der eine große Stütze des Vereins bildete. Daneben wurde eine
BMX-Sparte angeboten, die aber nur von wenigen Mitgliedern ausgeübt wurde. Der
Saalradsport führte seit längerer Zeit ein Schattendasein und wartet noch immer auf
seine Wiederbelebung.
In den 2.000er Jahren lag der Fokus des Vereins vor allem auf dem
Straßenrennsport, dem Radtourenfahren und der Durchführung von
Radsportveranstaltungen. Besonders sind hierbei die Schimmelreiter-Tour, das
Elisabethbrunnen-Rennen und die Hessenmeisterschaften im Einzelzeitfahren zu
nennen. Große Erfolge feierte der Verein in diesen Jahren mit dem Gewinn des
Hessenpokals der Radtourenfahrer, mit dem Gewinn zahlreicher
Hessenmeisterschaften durch unterschiedliche Fahrer und Gewinne
unterschiedlicher Rennveranstaltungen.
Im Jahr 2023 hat der RSV Marburg die Hessenmeisterschaften im Einzelzeitfahren
bereits zum 12. Mal ausgetragen. Die alte Panzerstraße zwischen Neustadt und
Stadtallendorf ist dafür nicht nur gut geeignet, sondern bei den Radsportlern aus nah
und fern – ob ihrer drehenden Winde berüchtigt – für ihren Straßenbelag und ihre
Sicherheit allerdings sehr beliebt.
Ohne Sponsoren kann heute kaum noch ein Verein agieren. So ist es auch beim
RSV 188/91 Marburg. Der RSV kann derzeit auf die Unterstützung der Firmen Dilling,
Sport-Begro, Gräser, Thermo-Bild, Sparkasse und Delta-Bike zählen.
Der Radsportverein zählt heute rund 100 Mitglieder. Mehr als die Hälfte betreibt den
Radsport aktiv und trifft sich regelmäßig zu Trainings sowie gemeinsamen
Ausfahrten. Gesellige Treffen kommen dabei nicht zu kurz. Aktuelle Infos und
Trainingszeiten sind auf https://www.rsv-marburg.de/ zu finden. Das Vereinstrikot des RSV ist
regelmäßig im Marburger Land zu sehen